Im Forum www.en-geschaedigte.de wird aktuell intensiv über das Thema "Beraterhaftung" diskutiert. Was viele Anleger erst nach der Insolvenzanmeldung erfahren haben: Ihre Berater waren teils selbständig tätig, teils abhängig Beschäftigte der EN-Storage GmbH. Rechtsanwalt Ralf Buerger hat die besonderen Fragen zum Thema EN-Vermittler nochmals aufgegriffen:
Ein Beratungsvertrag kommt regelmäßig stillschweigend zustande, wenn im Zusammenhang mit der Anlage eines Geldbetrages tatsächlich eine Beratung stattfindet. Stehen ein Anlageinteressent und ein Berater in Kontakt, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages zumindest stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen. (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - XI ZR 218/01, m. w. N.). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Haftung aus einem (stillschweigend abgeschlossenen) Beratungsvertrag immer dann zu bejahen, wenn Auskünfte erteilt werden, die für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung sind und die dieser zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen machen will. Das gilt insbesondere dann, wenn der Auskunftsgeber für die Erteilung der Auskunft sachkundig ist oder wenn bei ihm ein eigenes wirtschaftliches Interesse im Spiel ist.
Aus einem Anlageberatungsvertrag ist der Berater zur vollständigen und richtigen Anlageberatung verpflichtet. Inhalt und konkrete Ausgestaltung der dem Berater obliegenden Pflichten hängen dabei von den Umständen des Einzelfalles ab, namentlich vor allem der Person des Kunden einerseits und dem konkreten Anlageprodukt andererseits.
Zu den in der Person des Kunden gelegenen, die sog. anlegergerechte Beratung, prägenden Umständen gehören insbesondere dessen - u. a. durch seine Anlageerfahrung bestimmter - Wissensstand, seine Risikobereitschaft und sein Anlageziel (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 - XI ZR 12/93, BGHZ Band 123 Seite 126, „Bond-Urteil“).
Hinsichtlich des Anlageobjektes hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Dies sind sowohl allgemeine Risiken wie die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarktes als auch spezielle Risiken, die sich aus den individuellen Gegebenheiten des Anlageobjektes ergeben, also bei Finanzmarktprodukten etwa Kurs-, Zins- und Währungsrisiko (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993, a. a. O.).
Der Berater schuldet nicht nur eine zutreffende, vollständige und verständliche Mitteilung der für den Anlageentschluss relevanten Tatsachen, sondern darüber hinaus eine fachmännische Bewertung, um eine dem Anleger und der Anlage gerecht werdende Empfehlung abgeben zu können (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 - XI ZR 338/08). Abzugeben ist die Empfehlung auf der Grundlage einer mit marktüblichem kritischen Sachverstand erfolgten Prüfung (vgl. BGH, a. a. O.). Der Kunde darf davon ausgehen, dass sein Berater eine Anlage, die sie in ihr Programm aufgenommen hat, selbst für „gut“ befunden hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2008 - XI ZR 89/07). Während die dem Kunden geschuldete Aufklärung über die relevanten Umstände richtig und vollständig zu sein hat, muss die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjektes unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet vertretbar sein.
Folgende Punkte bedürfen einer genauen Betrachtung:
1. Die Überschreitung der angegebenen Risikoklasse / Risikobereitschaft der vertretenen Partei
Im Rahmen der vom Anlageberater geschuldeten anlegergerechten Beratung müssen die persönlichen (wirtschaftlichen) Verhältnisse des Kunden berücksichtigt und insbesondere das Anlageziel, die Risikobereitschaft und der Wissensstand des Anlageinteressenten abgeklärt werden; die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung des Anlageziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten sein, vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2012, III ZR 66/12.
2. Die Ausnutzung der Unerfahrenheit der vertretenen Partei
Einen Anlageberater wird der Kapitalanleger im Allgemeinen hinzuziehen, wenn er selbst keine ausreichenden wirtschaftlichen Kenntnisse und keinen genügenden Überblick über wirtschaftliche Zusammenhänge hat. Er erwartet dann nicht nur die Mitteilung von Tatsachen, sondern insbesondere deren fachkundige Bewertung und Beurteilung. Häufig wünscht er eine auf seine persönlichen Verhältnisse zugeschnittene Beratung. In einem solchen Vertragsverhältnis hat der Berater regelmäßig weitgehende Pflichten gegenüber dem betreuten Kapitalanleger. Als unabhängiger individueller Berater, dem weitreichendes persönliches Vertrauen entgegengebracht wird, muss er besonders differenziert und fundiert beraten, vgl. BGH NJW 1982,1095 ff.
3. Die Bildung eines sog. Klumpenrisikos
Unter einem Klumpenrisiko bezeichnet man die kumulative Häufung von Ausfallrisiken im Portfolio mit ähnlichen oder identischen Korrelationswerten (z. B. Brache, Region, Schuldner), die die Risikotragfähigkeit des Anlegers erreicht oder übersteigt.
4. Die Nichtoffenbarung von Ermittlungen z.B. einer Rückabwicklungsanordnung seitens der BaFin
Gegen den Anlageberater besteht ein Anspruch auf Schadenersatz wegen fehlerhafter Aufklärung und Anlageberatung, wenn er den Anleger nicht oder unzutreffend über die wirtschaftliche Plausibilität der Anlage oder über die Seriosität und Bonität der Initiatoren und Kapitalsuchenden aufgeklärt hat (OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2006, Az. 5 U 257/05; BGH, Urteil vom 10.11.2011, Az. III ZR 81/11).
5. Der Nichtoffenbarung bestehender Interessenkollisionen wegen erhaltener erheblicher Provisionen (sog. kick-backs) oder z.B. eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses mit dem Emittenten.
Ist der Berater sowohl Vertragspartner des Kapitalanlegers als auch des Kapitalsuchenden besteht ein nicht zu überbrückender Interessenkonflikt. Offenbart der Berater nicht, dass er auch im Lager des Vertragsgegners steht, haftet er dem Kapitalanleger vollumfänglich auf Schadenersatz, (BGH XI ZR 33/10 (32), Palandt/Sprau, BGB, 73. Aufl., Einf v § 652 Rn. 17, § 652 Rn. 29).
6. Das Herunterspielen des Totalverlustrisikos
Ein Anlageberater haftet dem geschädigten Anleger gegenüber für den mit einer solchen Geldanlage entstandenen Vermögensschaden, wenn er dem Anleger die Investition in das Produkt als „sicher“ dargestellt hat, obwohl erhebliche Risiken bestehen und möglicherweise sogar ein Totalverlust droht (BGH, Urteil vom 19.10.2006, Az. III ZR 122/05). Auch wenn der Anlageberater seinem Kunden einen Verkaufsprospekt oder Emissionsprospekt ausgehändigt hat, in dem konkrete Risiken der empfohlenen Anlageprodukts genannt sind, haftet er dem Anleger grundsätzlich auf Schadensersatz, wenn er dem Kunden gegenüber die tatsächlich bestehenden Risiken, schriftlich oder mündlich, verharmlost, bzw. abweichend von dem Prospekt geschildert hat (BGH, Urteil vom 12.07.2007, Az. III ZR 83/06).
Unter dem Strich: Wenn ein Vermittler sich auch nur in einem der sechs Punkte einer fehlerhaften Kapitalanlage-Beratung schuldig gemacht hat, dann ist er mitverantwortlich für den entstandenen Schaden und kann und sollte in die Schadensersatzpflicht genommen werden. Fachanwalt Buerger: "Ob durch die besondere Konstellation des Angestelltenverhältnisses die Vermögenshaftpflicht für die Vermittler absichtlich oder unabsichtlich ausgehebelt wurde oder nicht, spielt bei der Bewertung des Verfahrensrisikos eine eher untergeordnete Rolle, denn ohne Haftpflichtversicherung rutscht ein beschuldigter Vermittler automatisch in die persönliche Haftung und im Extremfall kann persönliches Eigentum gepfändet werden, solange noch etwas vorhanden ist." Buerger rät Betroffenen, ihre Berater in einem außergerichtlichen Anschreiben eine Frist zur Stellungnahme zu setzen. Wird in diesem Rahmen keine Einigung erreicht, dann sollte zeitnah der Klageweg beschritten werden.